AFSler schreibt Geschichten
An diesem Wochenende war es soweit. Nachdem mir mein Kollege John schon zwei Wochen lang damit gedroht hatte, wurde ich um halb zwei tatsaechlich von ihm vor meiner Haustuer abgeholt und wir machten uns nach Barnsley, einer kleinen Stadt suedlich von Wakefield auf. Stereotypischer ging es wohl nicht mehr: Manf faehrt durch weite, gruene Landschaften, der Himmel ist grau und wolkenverhangen und aus den Lautsprechern
droehnen Fussball-Songs. Nach einem kleinen Zwischenstopp bei John’s Eltern, wo es natuerlich Tee und Kekse gab, ging es dann letztendlich zusammen mit seinem Vater und zwei Kumpels richtung Oakwell, dem Stadion von Barnsley FC, weiter.
Kleine Info zwischendurch: Besagter Klub spielt in der 3. englischen Liga, welche, im Gegensatz zu unserer Regionalliga, ebenso voll professionell wie deren 4. Liga ist. Das bedeutet letztendlich, dass es in England weit mehr als doppelt soviel professionelle Vereine wie in Deutschland gibt. Bei dieser Gelegenheit noch ein kleiner Auszug aus der Welt der Marketing-Idiotie; hier die Namen der englischen Ligen 1 bis 4:
1. Liga: Barclays Premiership
2. Liga: Coca-Cola Championship
3. Liga: Coca-Cola League One (!)
4. Liga: Coca-Cola League Two (!!)
Nun gut, jedenfalls fanden wir uns dann wenig spaeter vor einem ziemlich schoenen englischen Fussballstadion (vor allem wenn man bedenkt, dass es sich hier um Regionalligafussball handelt…). Zuvor hatte ich mir nicht unbedingt viele Freunde gemacht, als ich erwaehnte, dass ich drei Tage zuvor bei Leeds United in Stadion war und mir deren sehr unterhaltsamen 2-2 gegen Watford reingezogen hatte. [Kurzer Einschub: Wenn Leeds United so weitermachen, dann wird es naechste Saison vielleicht ein nettes Lokalderby gegen Barnsely geben. Schon krass wenn man bedenkt, dass die vor nicht allzu langer Zeit noch im CL-Halbfinale standen...] Aber mir als Unwissender wurde da recht schnell verziehen. Als wir zu unseren Sitzen gingen (es war natuerlich ein reines Sitz-Stadion), viel mir etwas sehr Interessantes auf. Auf manchen Plaetzen, die offensichtlich Dauerkartenbesitzern gehoerten, waren wirklich deren Namen auf kleinen Schildern angebracht. Oft handelte es sich aber nicht um deren wirkliche Namen, sondern um Spitznamen, wie „Ol’ Joe“ oder eine Fuenferreihe mit der Aufschrift „The Mills Familiy“. Das war wohl etwas, das es im grossen, glitzernden Erstliga-Profifussballbetrieb nicht geben kann: Familiaritaet und Waerme. Sicher, man kann immer mit den selben Leuten ins Stadion gehen, sich immer in die selbe Reihe stellen und dort auch ab und zu mal die selben Leute wiedersehen, aber bei solchen Kleinigkeiten faellt einem einfach die Naehe auf, die einem kleine Verein geben koennen, die man von grossen Vereinen nie kriegen wird; andererseits kompensiert das vielleicht einfach nur den horrenden Mangel an Qualitaet, den man fuer sein Geld (nochmals nebenbei: Fussball-Tickets sind hier arschteuer. Dass eine FCB-Suedkurve-Dauerkarte 100 Euro kostet, wollte mir keiner glauben...) geboten bekommt.
Jedenfalls schaffte Barnsley bei meiner Anwesenheit etwas, was Ihnen bis zu diesem Zeitpunkt nicht oft gelungen war: einen Sieg (1-0). Dabei galt eine Fuehrung nicht unbedingt als Garant dafuer. Obwohl ein Tor vorne schaffte es dieses Team bis dahin, viermal nur unentschieden zu spielen und drei sogar noch zu verlieren. Als John und ich mal nur zum Spass ausrechneten, wo sein Verein denn stehen koennte, wenn da alles glatt gegangen waere, kamen ihm fast die Traenen: zweiter Platz mit deutlichem Vorsprung zum dritten, d.h. Aufstieg.
Aber lassen wir das. Nach dem Spiel war zaehlte fuer mich letztendlich nur noch eins: Wie hat der FCB daheim gegen Mainz gespielt? Im Fussball-Hirn entwickeln sich dann folgende Gedankengaenge: „Naja, also gegen Mainz, also wenn da nicht, gegen wen dann, oder? Naja, andererseits, es laeuft immer noch nicht 100% rund und ausserdem ist Mainz auch immer fuer eine Ueberraschung gut; aber Mainz... na, des kann ned sein, dass die da... warum geht bei mir daheim eigentlich keiner an dieses verf.... Telefon?“ Es war schliesslich aus irgendeinem Grund niemand zu Hause, so dass ich mich die komplette Rueckfahrt hindurch mit diesen Gedanken beschaeftigen konnte, bis ich letztendlich zu Hause ankam und mir der Teletext die befriedigende Auskunft gab: 4-2 (puh...)
1.FC Nürnberg – FC Bayern
Ich hatte schon wieder eine dieser Vorahnungen... Aber von vorne.
Um das Desaster vom Samstag zuvor zu vermeiden, hatte ich meine Eltern schon damit beauftragt, mich sofort nach Ende des Spiels mit DEM Ergebnis und den restlichen Resultaten zu versorgen. Da wir an jenem Nachmittag auf Exkursion nach Durham waren, um uns dort die Relikte des finsteren Mittelalters anzuschauen, fiel eine Teletext-Session natuerlich aus. Aus irgendeinem Grund war ich allerdings diesmal besonders nervoes; vielleicht wegen der in den letzten Jahren eher maessigen Erfahrung mit Auswaertsspielen beim Frankenpack, aber sicher war ich mir da auch nicht. Jedenfalls wurde es 16.15 Uhr und der panische Blick zum Handy wurde immer krampfhafter, bis dann schliesslich ein Anruf kam. Und natuerlich: 2-2; beim Club; beim 1.FC Nürnberg; beim Teppichhaendlerverein... naja, immerhin noch Tabellenfuehrer. Der Verstand versucht, sich dann immer an solche Strohhalme zu klammern, aber insgeheim macht man sich schon wieder ueber den Zustand der Mannschaft Sorgen; und da ist es auch wurscht, dass der Schiedsrichter bei diesem Ergebnis ein wenig nachgeholfen zu haben schien; aber wer will auch ueber den Schiri jammern? Das ist auch nur was fuer Maedchen (selbst wenn’s gerechtfertigt waere...).
Ajax Amsterdam – FC Bayern
Letzte Spiele in der Gruppenphase der Champions League; wenn da alles am seidenen Faden haengt, ist in der Regel vorher schon einiges schief gelaufen. Wie ich in meinem letzten Bericht ja schon erwaehnt hatte, war ich durch das glorreiche 5-1 gegen Maccabi in einen derartig euphorischen Rausch versetzt worden, dass ich generoes einwilligte, den letzten Spieltag an besagten weiblichen Leverkusen-Fan abzutreten, weil es bei denen ja doch noch um was ging. Ich muss allerdings zugeben, dass mir dieser Anfall von Generositaet schon bald darauf wieder schmerzlichst Leid tat, weil mir schlagartig klar wurde, dass ich eingewilligt hatte, ein volles Spiel von Leverkusen anzuschauen.
An diesem Abend schien ich die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben: Was wollte ich lieber sehen? Das tragische Scheitern der galaktisch Durchgeknallten aus Madrid? Oder einen Leverkusen-Fan der um eine Enttaeuschung reicher ist? Es ist im Endeffekt wie die Partie Schalke gegen Dortmund: beide koennen nicht verlieren. Letztendlich stellte sich auch noch das Wort Case-Szenario ein: beiden kamen weiter.
Vom Spiel meines FCB blieben mir zwar nur die Highlights uebrig, aber angesichts einer bedeutungslosen Partie war das auch zu verschmerzen. Allerdings war mir dabei nicht bewusst, welch historisches Ausmass diese ansonsten bemitleidenswerte Unentschieden hatte: als erste deutsche Mannschaft in Amsterdam nicht verloren; eigentlich auch traurig.
FC Bayern – VfB Stuttgart
Wieder ein Wochenende in Birmingham; diesmal Kopfhoere dabei und ausserdem auch noch eine Freundin, die am Samstag Nachmittag ein wenig Zeit zum Kofferpacken brauchte. Natuerlich war ich so ruecksichtsvoll, sie dabei nicht zu stoeren und so bot ich mich an, mich in die Uni-Bibliothek zu verziehen und – wenn es denn sein muss – Internet-Radio zu hoeren...
Diesmal war das Bayernspiel endlich auch mal das Top-Spiel und so konnte ich mich in eine 90minuetige Reportage aus dem Olympiastadion stuerzen. Allerdings war der Verlauf eher ernuechternd und vor allem das 0-2 setzte meinen Hoffnung auf die Herbstmeisterschaft ein jaehes Ende. Die Hoffnung stirbt zuletzt, heisst es immer so schoen. Und in diesem Fall er sie auch wirklich elendig an Kahns Brust abgeklatscht und von Kuranyi totgetreten worden. Selbst der Anschluss durch Pizarro konnte mir nicht wirklich viel anhaben, so dass ich mir die Nachspielzeit ersparte und gesenkten Hauptes zur Wohnung zuruecktrottete; immer noch in dem Glauben Schalke ueber die Winterpause vor uns zu haben.
Als wir spaeter auf dem Weg ins Stadtzentrum zum Abendessen waren und sich meine Mutter kurz mal nach meinem Befinden erkundigen wollte, war es das erste Mal, dass ich das Thema Fussball von mir aus nicht anschnitt. Auf die Frage „Weisst du schon die Ergebnisse?“ konnte ich nur das beruehmte „Jaja“ erwidern. Als mir dann aber die von mir versaeumten Minuten geschlidert wurden, wandelte sich die Agonie in einen spontanen Ausbruch emotionaler Heiterkeit; und es bewahrheitete sich wieder mal eine steinalte Fussballregel: Das Spiel dauert so lange, bis der Schiedsrichter abpfeift. Dass es dabei jetzt schon wieder Schalke erwischt hat, mag vielleicht ein grober Zufall sein; aber vielleicht werden die auch das neue Leverkusen...
Halbzeit
Der 17.12. war ein schoener Tag; letzter Schultag, es herrscht eine geloeste Stimmung; die Schule dauert nicht bis um vier, sondern ist um zwoelf schon aus; im Lehrerzimmer steht ein Riesen-Buffet und eine Unmenge an Bier und Wein, sprich: alles ist in Feierlaune. Und was die UEFA-Gluecksfee an diesem Tag aus ihrem Hut gezaubert hatte, war allerhoechste Fussball-Feinkost: Barcelona – Chelsea, AC Mailand – ManU, Real Madrid – Juventus Turin; und, am allerwichtigsten: FC Bayern – Arsenal. Die Chancen standen 2 zu 7, dass mein Verein gegen einen englischen Klub spielt; entweder Arsenal oder Chelsea. Und wenn ich selbst die Wahl gehabt haette, dann waere die Begegnung die selbe gewesen. Fuer mich war Weihnachten diesemal schon eine Woche frueher. Dass es scheinbar ein Ding der Unmoeglichkeit ist, Tickets fuer dieses Spiel hier zu bekommen, wusste ich damals noch nicht...
Was jetzt? Winterpause. Hm, gibt’s in England nicht. Da wird am zweiten Weihnachtsfeiertag gespielt. Was kam daheim? Bundesliga Classics aufm DSF und Champions League Highlights auf Eurosport. Naja, das uebliche Metahdon-Programm halt; man nimmt ja alles mit. Tespiele auch. Gestern Testspiel Bayern gegen Cottbus im Trainingslager in Dubai. Live im Internet und auch noch umsonst.
Noch zehn Tage, dann geht es wieder los.
Mare kann nicht nur lesen und sprechen, sondern auch schreiben.